Plötzlich gab es im Fernsehen und im Radio Gottesdienste und mit Václav Havel war endlich ein glaubwürdiger Mann Staatspräsident!

Ich bin als Tochter von zwei Pfarrern aufgewachsen. Meine Mitschüler haben sich gewundert, dass ein Pfarrer Kinder haben kann, das zeigt, wie wenig die protestantische Kirche gegenüber der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei präsent war. Ich fühlte mich immer ein bisschen besonders und war stolz, den Glauben meiner Eltern weiterzugeben.

1972 Mutter von Daniela Hamrová als Pfarrerin

In meiner Kindheit habe ich meine Mutter immer sonntags zu den drei Gottesdiensten begleitet. Die Gemeinde war 30 km von unserem Wohnort entfernt und sie war klein, so dass nur 10 bis 12 Personen in der Kirche waren. Meine Mutter hat als Pfarrerin alles allein gemacht: Zuerst hat sie gepredigt, dann lief sie durch das ganze Kirchenschiff auf die andere Seite nach oben zur Orgel, die sie selbst spielte, dann kam sie wieder vor zur Kanzel. Ich habe gesehen, dass die Menschen sie lieben und das habe ich sehr genossen.

Den Religionsunterricht für uns Kinder hat mein Vater am Samstag vormittags auf dem Gemeindedachboden abgehalten. Vorher bin ich eine kleine Runde durch die Stadt Kutná Hora gedreht und habe verschiedene Mitschüler* innen und Freunde eingesammelt. Die besondere Idee meines Vaters war, dass wir die Bibeltexte singen, damit sie sich besser einprägen.

Bis heute habe ich die Melodie im Ohr, wenn ich bestimmte Bibeltexte lese.

1993 Familienurlaub bei Freunden in der Schweiz

1986 habe ich als Sekretärin des Synodalseniors (Bischof) in der Kirchenkanzlei der evangelischen Kirche der böhmischen Brüder (EKBB) in Prag angefangen zu arbeiten. Im gleichen Jahr habe ich geheiratet. Meine Tochter ist am 19. November 1989 geboren, zwei Tage nach der Wende in der Tschechoslowakei. Dass meine Kinder in der neuen Freiheit, Wahrheit und Aufrichtigkeit aufwachsen konnten, hat mich sehr froh gemacht.

2020 Sitzung in der Kirchenkanzlei der evangelischen Kirche der böhmischen Brüder (EKBB) in Prag

Seit 1999 arbeite ich in der ökumenischen Abteilung der EKBB. Die ist hauptsächlich für die Auslandsbeziehungen, aber auch für die Beziehungen zu den anderen Kirchen in der Tschechischen Republik zuständig. Unsere Kirche ist heute mit 75.000. Mitgliedern sehr klein und trotzdem die zweitgrößte Kirche Tschechiens. Die katholische Kirche ist zwar etwa 20 Mal so groß, aber die Mehrheit der tschechischen Bevölkerung ist dennoch atheistisch.

Obwohl wir so klein sind, sind wir ziemlich oft zu hören. Unsere Kirchenleitung bezieht öffentlich Stellung zur weltweiten Ungerechtigkeit gegenüber Minderheiten. Sie setzt sich z.B. für die Gleichstellung von Homosexuellen in unserem Land und von verfolgten Christen in der Welt ein, und sie macht auf die verzweifelte Situation der Flüchtlinge aufmerksam, deren Aufnahme unsere Regierung ablehnt.

Von meiner Kirche wünsche ich mir, dass sie immer den Willen Gottes lebt, indem sie sich auf die Seite der Wahrheit und der Schwachen stellt und eine Gemeinschaft bildet, in der sich alle aufgehoben fühlen. Wir Christen sollten offen sein und Frieden vorleben!

Quellenangaben: Daniela Hamrová 2020 (Quelle: privat)

Lebenswegstation 1

Sich im Glauben behaupten!

Als ich klein war, wollte ich in den Schulchor. Meine Musiklehrerin sagte mir, dass ich dafür in die Pionierorganisation eintreten müsste. Mein Vater ließ mir die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob ich eine Pionierin werde, aber zuvor diskutierte er alle Teile des Pioniergelöbnisses mit mir. Erst als ich ihn überzeugt hatte, dass ich mit allem einverstanden bin, stimmte er zu.

Eigentlich hatten meine Eltern in Schulkonflikten immer den Lehrern Recht gegeben. Aber in der 8. Klasse wollte ich auf´ s Gymnasium wechseln. Meine Eltern haben Widerspruch gegen meine Ablehnung eingereicht, schon weil ein Junge aus meiner Klasse angenommen wurde, der schlechtere Noten hatte als ich. Ich hatte sehr gute Noten und sogar die beste Aufnahmeprüfung abgelegt, aber der Moment war kritisch. Gerade war ein Absolvent des Gymnasiums an die Theologische Fakultät gegangen, dabei sollte der Rektor doch Absolventen an die Militärakademie schicken. Das war ihm nicht gelungen. Es war kein guter Moment, um Christen als Gymnasialschüler aufzunehmen. Mein Vater hat dann über die Kirchenleitung eine Beschwerde beim Kulturministerium eingereicht, und die haben sie an das Ministerium für Schulwesen weitergegeben. So wurde ich nach der 9. Klasse ins Gymnasium aufgenommen.

1980 bekam mein Vater eine Stelle in der Kirchenleitung in Prag, wir musste umziehen und ich brauchte wieder ein Gymnasium, das bereit war, eine Pfarrerstochter aufzunehmen. Zunächst war die Direktorin ganz begeistert, weil ich so gute Noten hatte, aber dann hat sie nach dem Beruf meines Vaters gefragt. Das Gesicht der Direktorin wurde indifferent, hellte sich aber noch mal kurz auf, als sie ihre zweite Frage stellte: „Und ihre Frau?“ – Danach war sie still.

1980 war mit den Christen in der Tschechoslowakei kein Staat zu machen.

1975 Daniela Hamrová bei einem Auftritt der Musikschule Foto: privat

1979 Daniela Hamrová mit Freundin vom Gymnasium Foto: Privat

Lebenswegstation 2

Den eigenen Weg gehen!

Meine mittlere Schwester war musikalisch sehr begabt, hatte aber als Pfarrerstochter kaum Chancen, Musik zu studieren. Deshalb haben meine Eltern entschieden, dass sie mit 11 Jahren nach Brno auf eine besondere Vorbereitungsschule für das Konservatorium geht. Von dort konnte sie -vor den staatlichen Aufnahmeprüfungen geschützt- auf die Musikschule wechseln.

Ich selbst wollte eigentlich Übersetzerin werden, ein Pädagogikstudium oder ein Studium der Humanwissenschaften war ja aus politischen Gründen nicht denkbar, aber selbst das ging nur für die Kombination Russisch/Ungarisch. Ich wollte aber Ungarisch und Deutsch studieren. Am Ende fand ich einen Platz an einer Fachhochschule für Außenhandel. Das war eine prominente Schule. Ich habe bei der Aufnahmeprüfung ehrlich gesagt, dass ich das Studium vor allem wegen der Fremdsprachen absolvieren möchte, und sie haben das akzeptiert. Meine Kommilitonen waren alle Funktionärskinder, zum Beispiel des tschechischen Botschafters in Angola oder den anderen Kooperationsstaaten des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Ich war froh, dass ich als Christin dennoch akzeptiert wurde, denn sie waren alle Kommunisten.

Direkt nach dem Fachschulstudium fing ich im Sekretariat des Synodalseniors (Bischofs) in der Kirchenkanzlei der evangelischen Kirche der böhmischen Brüder (EKBB) in Prag an zu arbeiten. Dort konnte ich meine Fremdsprachenkenntnisse sehr gut einbringen.

1969 Daniela Hamrová mit Schwester Dorothea Foto: privat

Daniela Hamrová mit Abschlussklasse der Fachhochschule für Außenhandel Foto: privat

Lebenswegstation 3

Das Evangelium leben!

Mein Vater war während der gesamten kommunistischen Ära in der politischen Opposition. 1969 fuhr er in die Partnergemeinde nach Holland. Auf dem Rückweg wurde er an der Grenze durchsucht und anschließend angeklagt, weil er verschiedene Zeitungen und Vorträge mit sich führte, die nicht mit der kommunistischen Staatsideologie konform waren. Erst sollte er ins Gefängnis, aber dann bekam er eine Bewährungsstrafe. Aber viel schlimmer für ihn war, dass ihm für drei Jahre die Zulassung als Pfarrer entzogen wurde. In dieser Zeit hat er für sich erkannt, dass die Verbreitung des Evangeliums sein Leben ist, sodass es keinen Sinn macht, wenn er nicht als Pfarrer arbeiten kann. Er hat dann seine oppositionellen Aktivitäten reduziert.

In den 1970er Jahren hat man der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der böhmischen Brüder Feigheit vorgeworfen. Zu den ersten Unterzeichnern der Petition Charta 77, die fehlende politische Grundrechte in der ČSSR anprangerte, hatten u.a. 19 Pfarrer und Vikare unserer Kirche gehört, die nicht ausreichend von ihr unterstützt wurden. Zwei Studenten mussten sogar die Theologische Fakultät verlassen. Wenn ich die heutige Freiheit mit den politischen Verfolgungen in den 70er Jahren vergleiche, wäre es vielleicht wichtig gewesen, dass wir uns alle stärker engagiert hätten.

Die wichtigste Botschaft des Evangeliums, die ich später meinen Kindern mitgegeben habe, ist die allumfassende Liebe und dass wir nicht nur für uns selbst auf der Erde sind. Christen sollen in Toleranz und Frieden miteinander leben und Frieden schaffen!

1967 Daniela Hamrová mit Vater

2019 Weihnachten mit Mann Jan und den Kindern Adam, Mariana und Alžběta und ihren Partnern