Die wichtigste Bewegung in der DDR war für mich der Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung!

1968 Konfirmation Astrid Bodenstein
Foto: Astrid Bodenstein privat

Ich wurde in eine traditionell christlich geprägte Familie hineingeboren. Mein Elternhaus war der DDR gegenüber unangepasst, also war ich nicht in der Pionierorganisation und hatte auch keine Jugendweihe. 1968 kam ich auf die erweiterte Oberschule und wurde dort auch Mitglied der FDJ. Ich wollte gern Lehrerin werden, musste aber schon bald erkennen, dass ich in dem Bildungssystem der DDR meinen Weg in diesem Beruf nicht gehen konnte.

1975 heiratete ich, und wir bekamen zwischen 1977 und 1981 drei Kinder. 1982 hatten wir einen Ausreiseantrag gestellt. Aber mir kamen zunehmend Zweifel, ob es wohl so gut ist, wenn alle anders denkenden Menschen das Land verlassen. Unsere Ehe wurde geschieden. 1984 ist mein Mann dann allein ausgereist.

Die wichtigste Bewegung in den 80er Jahren in der DDR war für mich der Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung mit den ökumenischen Versammlungen. Das war ein wirklich demokratischer Prozess, in dem Einzelne, Gruppen und Kirchen gemeinsam eine Analyse der Gesellschaft vornahmen und biblisch begründete Vorschläge für Veränderungen formulierten.

In den 80er Jahren kam ich auch zum ersten Mal mit der feministischen Theologie in Berührung. Ich tauschte Gott, den Herrn und Vater, gegen den begleitenden, mitleidenden und selbst auf der Suche seienden – den menschlichen Gott. Zu entdecken, wie ich mit den biblischen Schwestern verwandt bin und wie sie Jesus begegnen und er ihnen, ist für mich bis heute spannend! Mit anderen Frauen unsere Spiritualität zu entdecken und Gottesdienste zu gestalten, ist bis heute eine Alternative zu traditionellen kirchlichen Formen.

1985 begann ich, bei der Evangelischen Frauenarbeit in Sachsen zu arbeiten und habe berufsbegleitend am Burckhardthaus in Berlin/ Potsdam die Ausbildung zur Gemeindepädagogin gemacht. Wir Reisereferentinnen schulten die ehrenamtlichen Frauen für Frauenarbeit in den Kirchgemeinden und machten eigene Angebote wie zum Beispiel Seminare für Mütter im Babyjahr oder Erholungszeiten für Mutter und Kind.

Von 1994 bis 2004 war ich Geschäftsführerin und Hausleiterin eines Mutter- Kind-Kurhauses im Elbsandsteingebirge für 30 Mütter und 45 Kinder. Mir gefiel diese Idee einer Professionalisierung der Mütterstärkung! Dass dieses engagierte Projekt dennoch unter den Gesundheitsreformen zusammengebrochen ist, und auch in der evangelischen Kirche keine alternative Finanzierung gefunden werden konnte, ist ein Schmerzpunkt in meinem Leben.

Ich bin überzeugt, dass Gott Gutes für seine Schöpfung vorgesehen hat. Aus dieser Überzeugung und im Vertrauen darauf, dass Gott mich begleitet, engagiere ich mich!

Quellenangaben: Portrait Astrid Bodenstein in ihrer Ausstellung zum Weltgebetstag 2020 (Quelle: Stefan Behr, Ev.-Luth. Kirchgemeinde Dresden-Blasewitz -)

Lebenswegstation 1

Frauenarbeit in der DDR

In den 1980er Jahren kamen sehr viele junge Frauen unter das Dach der evangelischen Kirche. Zur Kirche zu gehen, war ja auch ein Stück weit die Suche nach der Nische. So wurde es alternativ und bunt. Die Frauenarbeit in Sachsen hatte immer einen emanzipatorischen Ansatz, aber in der DDR wurde er gleich mehrfach zum Spagat: einerseits wollten wir die Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit der Frauen stärken, dazu gehörte auch die Suche in der Theologie. Aber gleichzeitig bedeutete diese Stärkung ein Stück Abgrenzung zur DDR-Ideologie der unbedingten Berufstätigkeit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die ja nicht wirklich gegeben war. Die Lasten lagen zum großen Teil auf den Schultern der Frauen.

Die Beschäftigung mit feministischer Theologie und der Versuch, sie in die Lebenswirklichkeit der Frauen in Sachsen umzusetzen, wurde zu einem weiteren Spagat. Es ist ja bis heute so, dass traditionell gebundene Frauen in der Evangelischen Kirche den Feminismus ablehnen. Das Bewusstsein, dass sich parallel zu den Frauen auch die Männer emanzipieren müssen -dass auch die Männer sich ihrer verdeckten Seiten und Defizite bewusst werden müssen und daraus ein ganz neues Männerbewusstsein entstehen kann- kam erst sehr viel später zum Tragen. Dieser Spagat ist heute auch noch da und die Diskussionen sind eher schärfer geworden.

Bodenstein in „Frauen unterwegs“ 2/1991

2/1991 Zeitungsartikel in „Frauen unterwegs“
Autorin: Astrid Bodenstein

Lebenswegstation 2

Frauen machen Politik!

Der Dresdner Frauen-Friedenskreis gründete sich 1982 als Reaktion auf das neue Wehrdienstgesetz der DDR, das auch die Wehrpflicht für Frauen im Verteidigungsfall vorsah. Ich kam 1985 über die kirchliche Frauenarbeit dazu. Wir analysierten Schulbücher unter der Frage nach Friedensvorstellungen und Rollenbildern und zeigten die DDR-spezifischen Zusammenhänge zwischen beiden auf. Mit Anfang 30 und drei Kindern waren das sehr wichtige Fragen für mich. Wir schrieben Eingaben an die Bildungsministerin Margot Honecker und den Staatsratsvorsitzenden der DDR, in denen wir eine Veränderung der Rollenbilder und wirkliche Friedenserziehung einforderten. Dass ich mich über die Auseinandersetzungen, die wir zu diesen Themen im Frauen-Friedenskreis geführt haben, auch als Frau emanzipiert habe, war kein Prozess, den ich gesucht hatte. Er stellte sich ganz selbstverständlich ein.

Als 1989 die Mauer fiel, war plötzlich freies gesellschaftliches Engagement möglich, so dass ich sofort einen Runden Tisch der Frauen in Dresden mitgegründet habe, an dem Frauen aus allen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen zusammenkamen. Vom Runden Tisch ging die Initiative zur Gründung des Frauenschutzhauses aus. Über einen Zeitraum von zwei Jahren haben wir uns zu allen relevanten Themen der Kommunalpolitik geäußert.

17.09.1987 Astrid Bodenstein mit Banner des Frauenfriedenskreises

17.09.1987 Astrid Bodenstein mit Banner des Frauenfriedenskreises auf dem Olof-Palme-Friedensmarsch in Dresden
Quelle: BStU -Außenstelle Dresden

26.09.1992 Astrid Bodenstein und Elke Wöllner

26.09.1992 Astrid Bodenstein und Elke Wöllner auf dem ersten Landestreffen der Sächsischen Fraueninitiative und Verbände in Chemnitz
Foto: Heidi Vogel-Hennig, Leipzig/Eichwalde
Herausgeber: Sächsische Landeszentrale für politische Bildung

Lebenswegstation 3

Mütterstärkung professionalisieren!

1991 wurde die Frauenarbeit von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Müttergenesung gefragt, ob wir nicht ein Mutter-Kind-Kurhaus in Sachsen aufbauen wollten. Im Landeskirchenamt bat man uns, einen eigenen Verein als Träger zu gründen. Der damalige Präsident des Landeskirchenamtes warb die erforderlichen Eigenmittel bei unserer Partnerkirche in Hannover ein. So wurde 1994 im Elbsandsteingebirge das Mutter-Kind-Kurhaus Haidehof für 30 Mütter und 45 Kinder eröffnet. 13 Millionen DM für ganzheitliche Vorsorge und Rehamaßnahmen für Mütter und Kinder wurden investiert. Aber schon ab 1997 hatten wir mit verschiedensten Reformen des Gesundheitswesens zu kämpfen. Dass diese Arbeit durch private Konkurrenzen je in Schwierigkeiten kommen könnte, hatte ich mir am Anfang nicht vorstellen können. Plötzlich war das ein Arbeitsfeld, mit dem Investoren viel Geld verdienen konnten. Kurkliniken schossen wie Pilze aus dem Boden, aber gleichzeitig genehmigten die Krankenkassen viel weniger Kuren, weil das ganzheitliche Gesundheitskonzept aus dem Blick geriet. Mit unserem Marketing und einem guten Polster konnten wir uns bis 2002 gut behaupten. 2004 mussten wir für die Einrichtung Insolvenz anmelden. Das Haus steht heute leer.

Eröffnung Mutter-Kind-Kurhaus Haidehof 1994

1994 Eröffnung Mutter-Kind-Kurhaus Haidehof
Quelle: Heidi Vogel-Hennig, Leipzig/Eichwalde
Herausgeber: Sächsische Landeszentrale für politische Bildung

Mutter-Kind-Kurhaus Haidehof 1994-2004

1994-2004 Mutter-Kind-Kurhaus Haidehof
Quelle: Heidi Vogel-Hennig, Leipzig/Eichwalde
Herausgeber: Sächsische Landeszentrale für politische Bildung

Lebenswegstation 4

Die Mühen der Ebene

Seit 2015 engagiere ich mich in der Flüchtlingshilfe. Jetzt, wo die Euphorie der ersten Jahre vorbei ist, kommen die Mühen der Ebene. Ich begleite R., eine alleinerziehende Syrerin. In Damaskus hatte sie im Finanzministerium gearbeitet, hier in Dresden hat sie einen 450-Euro-Minijob als Krankenhaushostess. Ihr Sohn macht das Abitur.

Unser Kontakt ist ein Prozess mit Höhen und Tiefen. R. muss den Spagat schaffen zwischen der Sehnsucht nach ihrem syrischen Leben, einem selbstbestimmten Leben hier und dem Genügen an die Anforderungen des Jobcenters. Ich wiederum muss Geduld haben, dass ein Ankommen in einer vollkommen anderen Kultur Jahre braucht. Wie es sich anfühlt, alles aufzugeben und sich auf einen ungewissen Weg zu machen, kann ich höchstens erahnen. Zuversicht und Hoffnung zu geben, ist da manchmal nicht einfach. Wir freuen uns beide, wenn wieder ein Schritt geschafft ist.

Astrid Bodenstein mit R. A. aus Syrien

2020 Astrid Bodenstein mit R. A. aus Syrien
Foto: Astrid Bodenstein privat

Lebenswegstation 5

Zukunft hat einen Namen!

2020 habe ich ein Ehrenamt, das ich über 35 Jahre ausgeübt habe, abgegeben. Dieser Schritt und die besondere Situation der Pandemie des Jahres 2020 – von einem Tag auf den anderen wurden alle Aktivitäten unterbrochen – lassen mich stärker als bisher nachdenken, wie ich mein Leben künftig gestalten möchte.

Wieviel Engagement möchte ich über mein Privatleben hinaus noch leisten?
Und in welchen Bereichen?

Die Zukunft trägt die Namen unserer Enkel*innen! Wieviel Verantwortung habe ich da noch? Ich lasse mir Zeit und bin neugierig, was sich ergibt. Und erfreue mich an unseren Enkel*innen!

Astrid Bodenstein mit Mann und Enkeln

2020 Astrid Bodenstein mit Mann und Enkeln
Foto: Astrid Bodenstein privat